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RETROSPEKTIVE | SPD-Podiumsdiskussion „STROMNETZE – Was brauchen wir für die Energiewende?“

Karl-Bröger-Zentrum, Nürnberg

Frau MdB Gabriela Heinrich und Frau MdB Martina Stamm-Fibich luden die BI-Allianz P53 zur Teilnahme an einer Podiumsdiskussion zum Thema Stromnetzausbau ein. Neben der Bürgermeisterin der Gemeinde Neunkirchen a. Sand, Frau Martina Baumann, die wir aus früheren Begegnungen bereits kennen und zu schätzen gelernt haben, nahmen Herr Josef Hasler, Vorsitzender der Geschäftsführung der N-ERGIE Nürnberg sowie MdB Johann Saathoff, Energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion, teil.

 

Sowohl Herr Saathoff als auch Herr Hasler stimmten das Publikum mit eigenen Vorträgen ein, bevor die Diskussion eröffnet wurde. Im Rahmen der Diskussion wurden Frau Baumann und Markus Reuter als Vertreter lokaler Bürgerinitiativen zwischendurch Fragen zur Bürgerbeteiligung, aber auch zum Leitungsverlauf der Juraleitung gestellt, wenngleich das Thema des Abends leitungsübergreifend und eher allgemein zum Stromnetzausbau gehalten wurde.

 

Markus Reuter versuchte die Standpunkte der BI-Allianz P53 in den wenigen Redebeiträgen, die ihm zugeteilt wurden, zu transportieren.

 

Die BI-Allianz P53 wünscht sich eine stärkere Differenzierung zwischen Neubau und Ersatzneubau in der öffentlichen Diskussion des Stromnetzausbaus, aber auch bei namhaften Wissenschaftlern, wie z.B. Prof. Lorenz J. Jarass und Prof. Claudia Kemfert, auf die sich Trassengegner häufig berufen.

 

Auch in deren wissenschaftlichen Publikationen wird von einem „gewissen“ notwendigen Netzausbau und der erforderlichen Anwendung des NOVA-Prinzips (Netzoptimierung vor Ausbau) gesprochen. Markus Reuter würde durchaus interessieren, wie die Meinung der Wissenschaftler ganz konkret zum Thema Juraleitung wäre. Könnte es womöglich sein, dass dann ihr Urteil angesichts des Alters der Leitung, der geografischen Nähe zu den Irschinger Gaskraftwerken anders ausfiele als weithin vom Netzausbaugegnern angenommen? Wie gingen sie mit der Antwort von Herrn Staatsminister Hubert Aiwanger auf unsere ihm persönlich gestellte Frage um, ob bei neutraler Bestätigung des „überdimensionierten Netzausbaus“ auch Ersatzneubauten wie die Juraleitung oder eher reine Neubauten aufgegeben würden? Seine Antwort an uns war damals zweifelsfrei: „Der Druck auf die Juraleitung würde dann zunehmen!“

 

Die Aversion der Politik Risiken für Stromnetzengpässe einzugehen ist hinreichend bekannt und es ist in unseren Augen höchst unwahrscheinlich, dass bei der auch vom Aktionsbündnis gegen den Süd-Ost-Link angestrebten Aufgabe des Süd-Ost-Links, parallel dazu in regionaler Nähe auch von der Aufrüstung einer Bestandsleitung abgesehen würde.

  

Auf die Frage ob „die Bürgerinitiativen“ nun mit dem von TenneT geplanten Leitungsverlauf zufrieden sind, antwortete Markus Reuter, „Nein, wie könnten wir, wenn noch an zahlreichen Stellen die 400m-Abstandslinie nicht eingehalten wird. Die Grenzwerte sind im internationalen Vergleich nicht nur zu hoch, sondern unpraktikabel und seit Dieselgate hat die Wohnbevölkerung auch kein Vertrauen in die Überwachung der Einhaltung von Grenzwerten.“ 

 

Ferner wies Markus Reuter auf die irrig geführte Erdkabeldiskussion der Juraleitung hin, dass diese lediglich abschnittsweise und unseres Wissens nach maximal 2-3 Stellen zum Einsatz käme. Bislang existieren in Deutschland bei einer vergleichbaren Leitung in Norddeutschland aus technischen Gründen nur Streckenabschnitte von maximal 13 Kilometern – von einer „Erdverkabelung der Juraleitung“ kann also gar keine Rede sein. Da wird der Bevölkerung durch unzureichende Information etwas vorgemacht. Wir lehnen überdies konventionelle Erdverkabelung mit Schneisen von über 40 m aufgrund des damit verbundenen massiven Eingriffs in das Schutzgut Natur ab.

 

Zudem wies Markus Reuter auf die Notwendigkeit hin, auch medizinisch notwendige Mindestabstände bei der Erdverkabelung einzuhalten – wir haben zwar in Bayern eine unzureichende Soll-Vorschrift für Freileitungen, aber keine Mindestabstandsvorschrift für Erdverkabelung, wenngleich diese mit 100 m zwar geringer, aber nicht weniger notwendig ausfällt.    

 

Herr Hasler kritisierte den falschen Ansatz beim Stromnetzausbau und stellte das Verteilnetz ins Zentrum einer „dezentralen Energiewende“. Frau Baumanns Frage, warum die Verteilnetze der regionalen Stadtwerke kein zusammenhängendes Netz bilden, blieb unbeantwortet. Die Rolle der Übertragungsnetze in Bezug zu dieser Frage leider auch.

 

Deren Rolle wurde vom Publikum und Herrn Hasler bekanntermaßen vor allem dem Stromexport zugeordnet und nicht dem regionalen Lastausgleich selbst dezentraler Erzeugungseinheiten. Ob eine flächendeckende Kopplung der städtischen Verteilnetze technisch möglich und zielführend ist, wäre interessant gewesen weiter zu vertiefen, ging aber leider in der Diskussion unter, die primär zwischen dem Publikum, Herrn Saathoff und Herrn Hasler geführt wurde.

 

MdB Johann Saathoff vertrat die Meinung, dass Bayern eine Deckungslücke hat und „nicht rechtzeitig“ dezentrale Strukturen aufbauen wird und somit auf Stromimport aus anderen Bundesländern angewiesen sein wird. Er befürwortet den massiven Ausbau dezentraler alternativer Energieerzeugungsanlagen, sieht aber auch den bereits eingetretenen massiven Zeitverlust insbesondere für Bayern mit dem Festhalten an der 10H-Regelung.

 

Leider konkretisierte er nicht, was er mit dem Slogan „Aus Betroffene, Beteiligte machen!“ beim Stromnetzausbau konkret meinte. Dieser Slogan ist ggfs. beim Windkraftausbau kompatibel, aber beim Stromnetzausbau mit einer Erhöhung der medizinisch kritischen Stromstärke um den Faktor 7??? Wir meinen, dass wir unsere Gesundheit uns nicht „abkaufen“ lassen und dass dieser Ansatz beim Stromnetzausbau zutiefst amoralisch ist.

 

MdB Johann Saathoff korrigierte zudem die Ausführungen des Aktionsbündnisses, dass 6,91% lediglich auf das durch TenneT bei den Projekten eingesetzte Eigenkapital bezahlt würden und nicht noch zusätzlich auf den Fremdkapitalanteil. Dieser Argumentation wollten die Vertreter des Aktionsbündnisses jedoch nicht folgen.   

 

Das Aktionsbündnis gegen den Süd-Ost-Link übergab Herrn Saathoff die in selbiger Woche vorgestellte Studie von Prof. Dr. Lorenz J. Jarass und Rechtsanwalt Wolfgang Baumann. In dem Gutachten weisen die beiden Autoren nach, dass die Netzausbaukosten nicht hinreichend Eingang in die Ausbauentscheidungsprozesse gefunden haben und es sich somit bei der Umsetzung der Projekte des Netzentwicklungsplanes (NEP) dann um Schwarzbauten handeln werde. Der überwiegende Teil der anwesenden Diskutanten forderte ein Stopp der aktuellen Netzausbaupläne und der Rückbesinnung auf dezentrale alternative Energieerzeugungsstrukturen unter massiven Einsatz von Speichern (Power-to-Gas, Pumpspeicher, Elektroautos). Die Meinung zu Speichern war allerdings auch innerhalb des Publikums nicht unumstritten.

 

Bei dem auch von ihm erwarteten Abschlusswort wünschte sich Markus Reuter, dass die Bürgerinitiativen in der Region der Juraleitung zusammenarbeiten und besser miteinander, als nur übereinander sprechen. Davon profitieren lediglich die Bundesnetzagentur und TenneT. Aus Sicht der BI-Allianz überwiegen bei weitem die vorhandenen Schnittmengen.

 

Nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung trat Markus Reuter an Herrn Josef Hasler heran und erinnerte ihn an unser Gesprächsgesuch mit ihm, dass wir zusammen mit dem Bürgermeister von Mühlhausen vor Monaten an ihn übermittelten. Ihm sei dies nicht bekannt und die BI-Allianz solle ihn nochmal direkt anschreiben, was Markus Reuter bekräftigte.

 

Ebenfalls nach Ende der Veranstaltung wollte Markus Reuter die Landtagspetition der BI-Allianz P53 an Herrn Saathoff übergeben, dieser meinte, dass er deren Inhalt bereits kennen würde. In Erwiderung bat ihn Markus Reuter um eine schriftliche Stellungnahme zu den Inhalten der Petition.

 

MdB Martina Stamm-Fibich bat Markus Reuter nach der Podiumsdiskussion um ein weiteres Gespräch zu den gesundheitlichen Folgen des Netzausbaus, den er in seinen Gesprächsslots nur unzureichend andeuten konnte. Sie ist ordentliches Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages sowie Stellvertreterin für den Unterausschuss Globale Gesundheit. Markus Reuter sicherte die Bereitschaft zum Erfahrungsaustausch zu.